Mein Name ist Gisela, ich bin sechsundzwanzig Jahre alt und wurde in eine bescheidene Familie an der Küste Schleswig-Holsteins geboren. Mein Vater starb jung, meine Mutter war ständig krank, und so musste ich nach der zehnten Klasse die Schule abbrechen, um als Tagelöhnerin zu arbeiten. Nach vielen Jahren harter Arbeit fand ich endlich eine Stelle als Dienstmädchen bei einer der reichsten Familien Hamburgs: den von Eichwaldes.
Mein Mann —Friedrich von Eichwalde— ist der einzige Sohn dieser Familie. Gutaussehend, gebildet und von ruhigem Wesen, doch immer schien ihn eine unsichtbare Distanz zu umgeben. Fast drei Jahre arbeitete ich dort, stets schweigsam, mit gesenktem Blick, ohne mich je zu träumen, dass ich Teil seiner Welt sein könnte. Doch eines Tages rief mich Frau Dorothea von Eichwalde ins Wohnzimmer, legte mir eine Heiratsurkunde vor und versprach:
“Gisela, wenn du Friedrich heiratest, gehört dir die Villa am Schweriner See. Das ist unser Hochzeitsgeschenk.”
Ich war sprachlos. Wie konnte ein Dienstmädchen wie ich mit ihrem geliebten Sohn gleichziehen? Ich dachte, es sei ein Scherz, doch ihre Augen waren ernst. Ich verstand nicht, warum sie mich ausgewählt hatten. Ich wusste nur, dass meine Mutter schwer krank war und die Behandlungskosten eine unvorstellbare Last darstellten. Mein Herz flüsterte, abzulehnen, doch meine Mutlosigkeit und die Sorge um meine Mutter ließen mich zustimmen.
Die Hochzeit war prächtiger, als ich es mir je hätte vorstellen können. Ich trug ein rotes Kleid mit Goldstickerei, saß neben Friedrich in seinem elfenbeinfarbenen Gehrock und fühlte mich noch immer wie im Traum. Doch seine Augen waren kalt und distanziert, als verbargen sie ein Geheimnis, das ich noch nicht begriff.
In der Hochzeitsnacht war das Schlafzimmer mit Rosen gefüllt. Friedrich, in einem weißen Hemd, wirkte wie aus Stein gemeißelt, doch seine Augen verrieten Traurigkeit und Stille. Als er sich näherte, zitterte mein ganzer Körper. In diesem Moment offenbarte sich die harte Wahrheit.
Friedrich war nicht wie andere Männer… er hatte ein angeborenes Leiden, das ihn daran hinderte, die Rolle eines Ehemannes vollständig zu erfüllen. Plötzlich wurde alles klar: der Grund für die Villa, warum sie ein armes Mädchen in eine reiche Familie ließen. Nicht weil ich etwas Besonderes war, sondern weil sie eine „Namensfrau“ für Friedrich brauchten.
Tränen rollten über meine Wangen — ob aus Mitleid mit mir selbst oder mit ihm, wusste ich nicht. Friedrich setzte sich neben mich und flüsterte:
“Verzeih mir, Gisela. Du verdienst das nicht. Ich weiß, dass du Opfer gebracht hast, aber meine Mutter… sie braucht das Gefühl von Sicherheit in der Familie. Ich kann mich ihrem Willen nicht widersetzen.”
Im gelblichen Licht sah ich, dass auch seine Augen feucht waren. Ich erkannte, dass dieser kalt wirkende Mann ebenso tiefen Schmerz trug. Er war nicht anders als ich — wir beide waren Opfer des Schicksals.
In den folgenden Tagen wurde unser Leben seltsam vertraut. Es gab keine romantische Zärtlichkeit, doch Respekt und Kameradschaft. Friedrich war aufmerksam: morgens erkundigte er sich nach mir, mittags spazierten wir am Schweriner See und betrachteten die Wolken über den Hügeln, abends aßen wir gemeinsam und unterhielten uns. Er sah mich nicht länger als Dienstmädchen, sondern als Gefährtin. Das rührte mich, auch wenn mein Verstand mich daran erinnerte, dass diese Ehe nie „vollkommen“ sein würde.
Einmal hörte ich zufällig, wie Frau Dorothea mit ihrem Arzt sprach: Sie litt an einer Herzkrankheit und hatte nicht mehr viel Zeit. Sie fürchtete, Friedrich nach ihrem Tod allein zurückzulassen. Sie hatte mich gewählt, weil sie mich als fügsam, fleißig und ohne Ambitionen sah — sie vertraute darauf, dass ich ihn trotz seines Leidens nicht verlassen würde.
Als ich die Wahrheit erfuhr, klopfte mein Herz wild. Ich hatte geglaubt, man hätte mich als „Opfer“ für die Villa benutzt, doch nun erkannte ich, dass man mich aus Liebe und Vertrauen gewählt hatte. An jenem Tag schwor ich mir: Was auch kommen mochte, ich würde Friedrich niemals verlassen.
In einer stürmischen Nacht in Hamburg überkam Friedrich heftiger Schmerz. Verängstigt brachte ich ihn in die Asklepios Klinik. Bewusstlos drückte er meine Hand und flüsterte:
“Wenn du eines Tages müde wirst, dann geh. Nimm die Villa als Entschädigung. Ich will nicht, dass du leidest…”
Ich brach in Tränen aus. Wann hatte er mein Herz erobert? Ich drückte seine Hand fest.
“Egal was kommt, ich lasse dich nicht. Du bist mein Mann, meine Familie.”
Nach dieser Krise erwachte Friedrich. Als er mich noch an seiner Seite sah, füllten sich seine Augen mit Tränen — doch auch mit Wärme. Wir brauchten keine „perfekte“ Ehe. Wir hatten Verständnis, die Fähigkeit, uns mitzuteilen, und eine stille, beständige Liebe.
Die Villa am Schweriner See war kein „Preis“ mehr, sondern ein wahres Zuhause. Ich pflanzte Blumen auf der Veranda; Friedrich stellte seine Staffelei im Wohnzimmer auf. Jeden Abend saßen wir zusammen, lauschten dem Regen über Schwerin und sprachen von unseren kleinen Träumen.
Vielleicht ist Glück nicht Vollkommenheit, sondern jemanden zu finden, der trotz aller Mängel lieben und bei dir bleiben möchte. Und dieses Glück fand ich… seit jener zitternden Hochzeitsnacht.



