Mein Sohn lag im Sterben und brauchte meine Niere. Meine Schwiegertochter sagte: »Es ist deine Pflicht, weil du seine Mutter bist.« Der Arzt bereitete sich bereits darauf vor, mich zu operieren. Plötzlich stürmte mein neunjähriger Enkel in den Raum und rief: »Oma! Ich sage die Wahrheit, warum Papa deine Niere wirklich braucht!«
Das gesamte medizinische Team erstarrte. Die kalte Metallplatte des OP-Tisches drückte gegen meinen Rücken. Das grelle Licht der OP-Lampe blendete mich. Ich wollte die Augen schließen, aber mein Körper war wie erstarrt – nicht vor Kälte, sondern vor einer lähmenden Angst, als würde das Schicksal mich an der Kehle packen. Das monotone Piepen des Herzmonitors klang wie ein Hammerschlag in meinem Kopf.
Ich hörte jedes Geräusch im Raum: das Klirren der Instrumente, das Rascheln von Papier, als Dr. Bauer meine Akte durchblätterte, und die geflüsterte Unterhaltung hinter der Milchglasscheibe. Dort stand meine Schwiegertochter Sabine mit ihren Eltern, die Arme vor der Brust verschränkt, ihr Blick scharf wie ein Messer. Sie flüsterte etwas, aber ihre Augen blieben auf mich gerichtet, als würde sie mir befehlen: *Unterschreib. Zögere nicht.*
Ich hatte bereits die Einwilligung unterschrieben, meinem Sohn Markus meine Niere zu spenden. Die Unterschrift zitterte – ein Versprechen, das ich nicht mehr zurücknehmen konnte. Die Krankenschwester hielt schon die Spritze mit der Narkose bereit. Ich schloss die Augen, versuchte tief zu atmen, doch meine Brust war schwer wie Blei.
Dann – ein lautes Krachen! Die OP-Tür flog auf, ein kalter Luftzug fegte durch den Raum. Mein Enkel Tim stürmte herein, seine Turnschuhe voller Schlamm, sein Schulpulli zerknittert. Hinter ihm lief eine verzweifelte Schwester: »Kind, du kannst hier nicht rein!« Doch Tim blieb stehen, sein Atem ging schnell, seine Augen waren weit aufgerissen.
»Oma!«, rief er mit brüchiger Stimme. »Ich muss allen sagen, warum Papa deine Niere wirklich braucht!«
Die Stille im Raum war beklemmend. Selbst das Piepen des Monitors schien lauter zu werden. Dr. Bauer hob eine Hand. »Lass ihn reden.«
Auf der anderen Seite der Scheibe schlug Sabine mit der Faust gegen die Tür. »Hört nicht auf ihn! Er ist nur ein Kind!« Doch ihre Stimme zitterte – nicht aus Sorge, sondern aus Panik.
Tim drückte mir ein altes Handy in die Hand. Eine Aufnahme spielte sich ab – Sabines Stimme: *»Nach der Transplantation haben wir alle Daten. Mach dir keine Sorgen, die Alte wird nicht Nein sagen.«*
Mein Herz hämmerte. Die Wahrheit lag plötzlich offen da: Sie hatte meinen Sohn vergiftet. Nicht aus Liebe, sondern für Geld.
Die Polizei wurde gerufen. Sabine und ihre Eltern wurden festgenommen. Markus bekam eine alternative Behandlung – er brauchte meine Niere nicht, denn seine Krankheit war kein Zufall.
Als ich später in meinem kleinen Haus in Berlin saß, mit meinem schweigenden Ehemann Karl an meiner Seite und Tim, der mich tapfer gerettet hatte, verstand ich eines: *Familie ist nicht immer Blut. Manchmal sind es die, die für dich kämpfen, wenn alle anderen dich fallen lassen.*
Und so endet diese Geschichte nicht mit einem Opfer, sondern mit einer Erkenntnis: *Manchmal ist der größte Akt der Liebe nicht, alles zu geben – sondern Nein zu sagen, wenn es falsch ist.*



