**Die Namen, die sie mir gaben**
Meine Familie machte sich immer über mein militärisches Leben lustig, nannte mich einen „Aktenhefter“, der nur „Soldat spielt“. Als ich nach Hause flog, um in den letzten Stunden meines Großvaters bei ihm zu sein, versuchten sie, mich aus seinem Krankenzimmer fernzuhalten. Ich sei keine „richtige Familie“.
Mein Name ist Katharina Adler. Ich bin zweiundvierzig Jahre alt, und die letzten drei Jahre haben mir gezeigt, dass Loyalität in einer Familie nicht immer in beide Richtungen geht – besonders, wenn sie denken, du bist nur eine Aufpasserin in Uniform.
**Der Anruf um 4:30 Uhr morgens**
Um halb fünf an einem Dienstagmorgen klingelte das Telefon. Mein Großvater – der Mann, der mich großgezogen hatte, nachdem meine Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen, als ich acht war – hatte einen schweren Schlaganfall erlitten. Die Ärzte im Klinikum München gaben ihm höchstens noch achtundvierzig Stunden. Ich war in Afghanistan, verantwortlich für eine streng geheime Operation, die achtzehn Monate Vorbereitung gebraucht hatte. Aber Familie ist Familie. Innerhalb von sechs Stunden saß ich in einem Transportflugzeug nach Hause, mein Magen verknotet von unerledigter Arbeit auf zwei Kontinenten. Ich hatte nicht erwartet, direkt in ein „Familientreffen“ zu stolpern, das sich wie ein Verhör anfühlte.
**Das Mitleidskind**
Die Adlers waren immer kompliziert. Mein Großvater, Heinrich Adler, war ein Veteran, der eine kleine Baufirma aus dem Nichts erschaffen hatte. Als er mich aufnahm, machten seine drei erwachsenen Kinder – meine Onkel Markus und Stefan, meine Tante Gabriele – deutlich, dass ich das „Mitleidskind“ war, die verwaiste Nichte, die nie etwas werden würde. Sie duldeten mich, weil mein Großvater darauf bestand, erinnerten mich aber ständig daran, dass ich nicht dazugehörte.
Feiertage waren eine Aneinanderreihung kleiner Demütigungen. Meine Cousins erzählten von ihren Erfolgen – Markus juniors Jurastudium, Gabrieles Tochter in der Medizin, Stefan, der ins Familiengeschäft einstieg – während ich „das Mädchen, das Soldatin spielen ging“ war. So nannten sie es, als ich mit achtzehn zur Bundeswehr ging.
„Katharina ist eine Träumerin“, pflegte Tante Gabriele jedem zu erzählen, der zuhörte. „Denkt, die Armee würde etwas aus ihr machen. Am Ende wird sie nur ein Tor bewachen.“ Onkel Markus, ein Anwalt mit Größenwahn, war schlimmer. „Das Militär lockt solche wie sie“, dozierte er beim Weihnachtsessen. „Macht ihnen Versprechungen, verheizt sie, wirft sie weg. In vier Jahren kommt sie mit kaputtem Rücken und Alpträumen zurück.“
Sie haben nie nach Einsätzen, Ausbildung oder Beförderungen gefragt, nie bemerkt, dass ich Zweitbeste meiner Klasse war. Für sie war ich immer noch das verängstigte Achtjährige, das sich an ein Stofftier klammerte. Der Einzige, der wirklich an mich glaubte, war mein Großvater. Er war Unteroffizier gewesen. Er verstand Dienst. Aber selbst er kannte nicht das Ganze. Meine Arbeit erlaubte es nicht.
**Die Arbeit, die sie nie sahen**
Ich begann als Leutnant im militärischen Nachrichtendienst. Meine Sprachbegabung und analytische Denkweise fielen auf. Mit fünfundzwanzig leitete ich humanitäre Einsätze in Osteuropa. Mit dreißig war ich für multinationale Anti-Terror-Operationen verantwortlich. Mit fünfunddreißig bekam ich meinen ersten Stern – damals die jüngste Frau in der Geschichte der Bundeswehr, die diesen Rang erreichte.
Meine Familie wusste nichts davon. Aus Sicherheitsgründen lautete meine offizielle Tätigkeit „Logistikkoordinatorin“. Es klang langweilig, genau das, was sie vom „Mitleidskind“ erwarteten. Ihre Herablassung machte die Tarnung perfekt. Wer hätte gedacht, dass die stille Katharina Adler Geheimdienstberichte für höchste Stellen vorbereitete?
**Das Beige Zimmer**
Als ich nach drei Jahren im Wartezimmer des Krankenhauses stand, traf mich die Feindseligkeit wie eine Wand. „Na, wer hat sich endlich blicken lassen“, murmelte Onkel Stefan, ohne vom Handy aufzusehen – dicker geworden, grauer Haare, aber das gleiche süffisante Grinsen.
„Stefan“, sagte ich leise, stellte meine Tasche ab. Der Raum war klinisch beige: harte Stühle, der GeruchIch nahm seinen zerbrechlichen Arm und wusste, es war Zeit, Abschied zu nehmen, nicht nur von ihm, sondern auch von der Hoffnung, dass meine Familie jemals verstehen würde, was ich wirklich geleistet hatte.



