Ich kehrte unangemeldet nach Hause zurück. Nach meiner letzten Mission entdeckte ich, dass mein Sohn allein im Krankenhaus auf der Intensivstation lag, während meine Schwiegertochter mit ihren Freundinnen auf einer Yacht in der Ostsee feierte. Sofort froren wir alle Konten ein. Eine Stunde später flippte sie völlig aus, als sie es erfuhr.
Ich bin froh, dass du hier bist. Bleib bis zum Schluss und sag mir, aus welcher Stadt du meine Geschichte siehst. Ich will wissen, wie weit sie gekommen ist.
Als ich den Flughafen Berlin-Tegel betrat, warf die aufgehende Sonne goldenes Licht durch die großen Fenster der Abfertigungshalle. Die alte Militärkoffer mit abgewetzten Ecken stand treu wie ein Reisegefährte seit über 40 Jahren zu meinen Füßen. An meinem Handgelenk tickte die Taschenuhr meines Vaters leise – eine ständige Erinnerung an das Versprechen, das ich mir in meiner Jugend gab: Immer nach Hause zurückkehren. Dieses Versprechen lastete schwerer denn je.
Mit 61 Jahren, frisch im Ruhestand nach meiner letzten Mission, hatte ich mein Leben den deutschen Marinesoldaten gewidmet. Von Geiselbefreiungen in Hamburg bis zu endlosen Evakuierungen während des verheerenden Hochwassers im Ahrtal. Doch heute wollte ich nur noch eines sein: eine Mutter. Ungeduldig, meinen Sohn Markus in die Arme zu schließen.
Nach all den Jahren zog ich den Koffer mit gewohnter Schnelligkeit und Präzision durch den Gepäckbereich. Draußen brannte bereits die Morgensonne. Ich hob die Hand und rief ein Taxi. *„Wallstraße 12, bitte.“* Meine Stimme blieb ruhig, doch innerlich schlugen die Wellen der Ostsee gegen mein Herz.
Ich stellte mir vor, wie Markus die Tür mit strahlendem Lächeln öffnen würde, wie wir uns an den Tisch setzen und über alles reden würden, was ich verpasst hatte. In einer halben Stunde würde ich bei meinem Sohn sein. Das Radio spielte Nachrichten der Marine – Berichte, die mir früher täglich begegneten, doch jetzt bedeuteten sie mir nichts mehr.
Gestern hatte ich meine letzte strategische Beratungsmission für die NATO in Osteuropa abgeschlossen. Vierzig Jahre Karriere – von der Bekämpfung des Waffenschmuggels an der polnischen Grenze bis zu schlaflosen Nächten im Feld. All das lag nun hinter mir wie eine ferne Erinnerung. Ich starrte aus dem Fenster. Die blaue Weite der Ostsee schien unendlich, die Wellen glitzerten, als wollten sie mich zurück in diese Tage ziehen.
Doch mein Kopf war nur bei Markus und dem kleinen Haus, das so viele Hoffnungen barg. Als das Taxi die bekannte Küstenstraße entlangfuhr, wiegten sich die Bäume noch genauso wie an dem Tag, als ich gegangen war. Doch als wir vor Markus’ Haus hielten, schnürte sich mein Herz zusammen. Das Haus lag dunkel da, die Vorhänge zugezogen, kein Licht drinnen.
Ich schleppte den Koffer zur Haustür. Ein stechendes Unbehagen wuchs in mir. Ich klingelte. Das Geräusch hallte durch die Stille, ohne Antwort. Ich klopfte lauter. Nichts. Eine seltsame Leere, als sei das Haus verlassen. Ich ging in den Garten. Der Briefkasten quoll über mit Werbung, als hätte ihn lange niemand geleert.
Mein Herz raste. Eine dunkle Ahnung drückte auf meine Brust. Ich hatte Markus und meiner Schwiegertochter Julia regelmäßig Geld geschickt, um ihre Familie zu versorgen. Ich dachte, alles sei in Ordnung. Doch jetzt, vor diesem kalten Haus, wusste ich: Etwas stimmte nicht.
Dann sah ich Frau Schneider, die Nachbarin, auf der anderen Straßenseite Blumen gießen. Sie lebte hier, seit ich ein junges Mädchen war, immer freundlich, immer bereit, Geschichten über die Kinder der Nachbarschaft zu erzählen. *„Frau Schneider!“*, rief ich. Sie blickte auf, ihre Augen weit vor Überraschung.
*„Hanna! Um Gottes willen! Du bist zurück. Aber du weißt wohl noch gar nichts?“* Mein Herz setzte aus. *„Was denn? Wo ist Markus?“*, fragte ich und versuchte, meine Stimme nicht brechen zu lassen.
Frau Schneider stellte die Gießkanne ab. *„Markus liegt seit zwei Wochen im St.-Marien-Krankenhaus. Der Rettungswagen kam mitten in der Nacht.“* Sie senkte die Stimme. *„Und Julia… Mein Sohn zeigte mir ihren Post auf sozialen Medien. Sie feiert auf einer Yacht in der Ostsee.“*
Ich erstarrte. Als würde die Welt unter mir zusammenbrechen. Markus im Krankenhaus – zwei Wochen lang – und Julia, meine Schwiegertochter, die ich mit seinem Schutz betraut hatte, feierte auf einer Yacht. Mein Blut schien zu stocken, mein Herz schlug schmerzhaft.
*„Wo ist das St.-Marien-Krankenhaus?“*, fragte ich heiser. Frau Schneider zeigte mir den Weg. Ohne zu zögern, winkte ich ein Taxi heran.
*„So schnell wie möglich!“*, befahl ich dem Fahrer. Fragen jagten durch meinen Kopf: Was war mit Markus passiert? Wie konnte Julia feiern, während mein Sohn allein im Krankenhaus lag? Ich presste die Taschenuhr so fest, dass meine Knöchel weiß wurden.
Markus – mein Sohn, der mir als Kind am Strand hinterhergelaufen war, der mich jedes Mal umarmte, wenn ich von meinen Einsätzen zurückkehrte. Jetzt lag er im Krankenhaus, und ich, die Mutter, die ihr Leben dem Dienst am Land gewidmet hatte, wusste nicht einmal, dass er mich brauchte. Ich hasste mich für die Jahre, in denen ich nur Geld schickte, in dem Glauben, das reiche aus.
Doch jetzt wollte ich nur zu Markus, ihn sehen, wissen, dass er lebte.
Das Taxi hielt vor dem Krankenhaus. Die Mittagssonne blendete mich, als ich bezahlte und meinen Koffer durch den Eingang zog. Die Lobby war voller Stimmen, Schritte, Durchsagen. Ich ging direkt zur Anmeldung. Eine junge Schwester blickte von ihren Akten auf.
*„Ich suche Markus Weber.“* Meine Stimme klang trocken.
*„Intensivstation. Fünfter Stock, Zimmer 512.“*, antwortete sie routiniert. Ich stürzte zum Aufzug.
Die Intensivstation war kalt, nur unterbrochen vom gleichmäßigen Piepen der Monitore. Die Tür zu Zimmer 512 stand einen Spalt offen. Ich drückte sie langsam auf.
Dort lag Markus. Umgeben von Schläuchen, bleich, kaum wiederzuerkennen. Sein Atem war schwach. Ein Arzt – Dr. Bauer – blickte von den Monitoren auf. *„Sind Sie Angehörige?“*
*„Ich bin seine Mutter.“*
*„Magenkrebs im Endstadium. Wenn er früher gekommen wäre…“* Jedes Wort traf mich wie ein Messer.
Ich nahm seine Hand. *„Markus, ich bin da.“* Plötzlich bewegten sich seine Lippen. *„Mama… ich liebe dich.“* Dann ertönte ein langer, schriller Ton.
Sie zerrten mich hinaus. Minuten später kam Dr. Bauer. *„Es tut mir leid.“*
Ich brach zusammen. Mein Sohn war fort.
Ich rief Julia an. Im Hintergrund hörte ich Musik, Gelächter. *„Markus ist tot.“*
*„Ach. Ich bin beschäftigt. Wir reden später.“*
Die Welt drehte sich nicht mehr.
Ich ging zur Verwaltung, unterschrieb mit zitternder Hand die Papiere. Eine Schwester überreichte mir eine Plastiktüte mit Markus’ Habseligkeiten: seine Uhr, sein Portemonnaie. In seiner Brieftasche fand ich ein altes Foto – wir am Strand, er als Kind mit einem roten Drachen.
Ich las seine Krankenakte. *„Magenkrebs, Metastasen.“*
*„Warum hat niemand mich angerufen?“*
*„Wir versuchten, die angegebene Kontaktperson zu erreichen – Julia. Sie antwortete nie.“*
Plötzlich vibrierte sein Telefon. *I nahm einen tiefen Atemzug, schloss die Augen und versprach Markus, dass sein Tod nicht umsonst gewesen sein würde, bevor ich mit Tränen in den Augen die Krankenhaustür hinter mir schloss.



