“Tu sollst meine Frau vor allen Leuten spielen”, befahl der Millionär der jungen Frau.
Lena Bauer hatte nie gedacht, dass ein Job als Zimmermädchen in einem Fünf-Sterne-Hotel in München ihr Leben für immer verändern würde. Mit 24 Jahren war sie erst vor einem halben Jahr aus ihrem Heimatort Regensburg gekommen, mit nichts als einem Koffer und dem Traum, Betriebswirtschaft zu studieren.
Der Lohn im Hotel Bayerischer Hof reichte kaum für die Miete ihrer kleinen Wohnung in Schwabing, aber er war ehrlich und gab ihr Hoffnung auf eine bessere Zukunft. An diesem Märzmorgen war die Luft frisch, und der strahlend blaue Himmel über dem Isartal kündigte einen ganz normalen Tag an. Als Lena gerade Handtücher auf ihrem Wagen faltete, hörte sie schnelle Schritte im Flur des 15. Stocks.
“Entschuldigen Sie, Fräulein.” Eine tiefe Männerstimme sprach sie mit dem kultivierten Akzent der besseren Münchner Kreise an. Sie drehte sich um und sah einen großen Mann mit dunkelbraunem Haar, leicht ergraut an den Schläfen und intensiven dunklen Augen. Sein makelloser Marineblauer Anzug und die Lederaktentasche sahen aus, als wären sie mehr wert als ihr halbes Jahresgehalt.
“Ja, mein Herr? Wie kann ich Ihnen helfen?”, fragte Lena nervös und glättete ihre Uniform.
“Ich bin Alexander von Berg. Ich brauche Ihre Hilfe für etwas Ungewöhnliches.” Er warf einen Blick den Flur entlang, als wollte er sichergehen, dass sie allein waren. “Können wir unter vier Augen sprechen? Es ist dringend.”
Lena zögerte. Alexander wirkte wie Mitte 40, und in seinen Augen lag eine Mischung aus Verzweiflung und Entschlossenheit. Nicht bedrohlich, nur verzweifelt.
“Klar, aber ich kann nicht lange. Ich muss noch andere Zimmer reinigen.”
Er führte sie in einen kleinen Gästebereich am Ende des Flurs. Vorsichtig schloss er die Tür. “Was ich jetzt sagen werde, klingt verrückt, aber ich brauche Ihre Hilfe.” Er holte tief Luft. “Meine Familie hat heute Abend eine Feier im Restaurant Tantris in Schwabing. Es ist kompliziert, aber ich brauche jemanden, der vorgibt, meine Ehefrau zu sein.”
Lena starrte ihn an. “Wie bitte? Ich kenne Sie doch gar nicht!”
“Ich weiß, es klingt irre.” Er strich sich durchs Haar. “Meine Familie hat sehr bestimmte Erwartungen. Sie glauben, ich sei seit zwei Jahren verheiratet. Ich habe die Lüge zugelassen, um ihren ständigen Druck zu entgehen.”
“Warum fragen Sie ausgerechnet mich? Gibt’s nicht Agenturen für so etwas?”
“Ich brauche jemand Natürliches, jemanden außerhalb ihrer Kreise.” Er zog eine Brieftasche hervor. “Ich zahle 5.000 Euro für den Abend. Sie müssen nur lächeln, freundlich sein und so tun, als kennten Sie mich gut.”
5.000 Euro. Mehr als ihr halbes Monatsgehalt. Damit könnte sie ihre Studiengebühren bezahlen und noch genug übrig haben.
“Warum sollte ich Ihnen vertrauen?”, fragte sie mit verschränkten Armen.
Alexander sah sie an, und zum ersten Mail bemerkte sie echte Verletzlichkeit in seinem Blick. “Weil ich von Anfang an ehrlich bin. Ich hätte eine Geschichte erfinden können – stattdessen sage ich die Wahrheit.” Er streckte die Hand aus. “Ich bin Geschäftsführer einer IT-Firma. 44 Jahre. Unverheiratet, und meine Familie hält mich für gescheitert.”
Lena erwiderte den Händedruck. “Lena Bauer. 24, BWL-Studentin und scheinbar Ihre temporäre Ehefrau.”
Als er zum ersten Mal lächelte, wirkte sein ganzes Gesicht jünger. “Also, nehmen Sie an?”
“Ich nehme an. Unter Bedingungen.” Sie richtete sich auf. “Kein Körperkontakt außer Händedruck oder Armgeben. Sie holen mich um 19 Uhr ab und bringen mich heil zurück. Und wenn jemand zu persönlich wird, lenken Sie ab.”
“Perfekt. Ich hole Sie um 19 Uhr ab.” Er notierte ihre Adresse. “Und Lena – danke. Sie wissen nicht, wie erleichtert ich bin.”
Als er ging, betrachtete sie die Visitenkarte, die er ihr gegeben hatte: *Alexander von Berg, Vorstandsvorsitzender, TechVision AG, München*. Darunter die Adresse eines Büros im teuren Bogenviertel.
### **Der Abend im Tantris**
Pünktlich um 19 Uhr hielt ein schwarzer Mercedes vor ihrem bescheidenen Wohnhaus in der Amalienstraße. Sie trug ein einfaches dunkelblaues Kleid, das sie sich von einer Nachbarin geliehen hatte, und flache schwarze Schuhe.
Alexander öffnete ihr die Tür. “Sie sehen wunderschön aus.” Ihr Gesicht wurde heiß.
“Für Tantris hoffentlich angemessen?”
“Perfekt.” Im Auto erklärte er: “Mein Vater, Friedrich von Berg, 72, ist Bauunternehmer – traditionell. Er findet, ein Mann meines Alters sollte verheiratet sein. Meine Mutter, Gisela, 70, ist sanfter, aber genauso besorgt. Meine Schwester Sophie, 40, verheiratet, zwei Kinder – das Vorzeigekind. Mein Bruder Maximilian, 37, solo, aber seit Jahren mit derselben Frau.”
Lena musterte sein Profil. “Warum haben Sie nie wirklich geheiratet?”
Er schwieg. “Mit 35 hatte ich eine ernste Beziehung. Als sie heiraten wollte, merkte ich: Ich tat es nur, weil alle es erwarteten, nicht weil ich es wollte.”
“Und was wollten Sie?”
“Freiheit. Zeit, herauszufinden, wer ich wirklich bin.”
“Klingt ehrlich”, sagte Lena. “Besser das als eine unglückliche Ehe.”
### **Die Familienfeier**
Im Tantris erwarteten sie die von Bergs: Friedrich, imposant mit schneeweißem Haar; Gisela, elegant; Sophie, aufmerksam; Maximilian, locker.
“Alexander! Und das muss unsere liebe Lena sein!”, rief Gisela.
“Ja, Mutter. Das ist meine Frau, Lena Bauer von Berg.”
Friedrich schüttelte ihr fest die Hand. “Endlich lernen wir die Frau kennen, die unserem Alexander das Herz gestohlen hat.”
Die erste Stunde verlief locker. Doch dann fragte Sophie: “Wann bekommen wir Enkelkinder? Ihr seid doch schon zwei Jahre verheiratet.”
Alexander ergriff ihre Hand. “Eigentlich haben wir Neuigkeiten: Wir versuchen bereits, aber wollten erst sicher sein, bevor wir etwas sagen.”
Giselas Augen leuchteten. “Ach, wie wunderbar!”
Später, als Alexander sie nach Hause fuhr, sagte Lena: “Das ging zu weit. Ihre Exfreundin hat mich durchschaut.”
“Welche Exfreundin?”, fragte er überrascht.
“Sophie hat mich ausgefragt – über unsere Hochzeit, wo wir wohnen… Sie weiß, dass etwas nicht stimmt.”
“Claudia und ich haben vor Jahren Schluss gemacht. Sie war nie lange zufrieden.”
Lena seufzte. “Das hier ist nicht nachhaltig. Was passiert, wenn Ihre Familie die Wahrheit erfährt?”
Alexander hielt an einem Aussichtspunkt. “Dann sagen wir es ihnen.”
### **Drei Monate später**
Vor dem Abschlussball ihrer Universität trafen sich beide Familien in einem gemütlichen Lokal.
“Also”, begann Alexander, “wir müssen Ihnen etwas erzählen.”
Und sie erklärten alles: Die Lüge, das erste Treffen im Hotel, die gespielte Ehe.
Stille.
Friedrich warf Alexander einen enttäuschten Blick zu. “Du hast uns über ein Jahr lang belogen.”
“Ja. Aber ich habe gelernt, dass ich nicht leben kann, um andere zufriedenzustellen.”
Gisela weinte. “Wir wollten nur dein Glück.”
“Dann unterstützt mich dabei, mein eigenes Glück zu finden – mit Lena.”
Friedrich sah Lena an. “Und Sie, Fräulein Bauer – Sie haben heute Mut bewiesen. Dafür respektiere ich Sie.”
### **Ein Jahr später**
Auf dem Campus der LMEin Jahr später standen Lena und Alexander vor dem Altar einer kleinen Dorfkirche in Regensburg, Hand in Hand, umgeben von ihrer Familie, und wussten, dass aus einer Lüge die schönste Wahrheit geworden war.



